Der große Brand von Brotterode 1895
Der große Brand, durch den in kaum vier Stunden von insgesamt 842 Gebäuden 729 eingeäschert wurden, brach am 10. Juli 1895 um die Mittagsstunde im Unterdorfe aus. Die beiden vier- und fünfjährigen Söhne des Schneiders Gustav Peter wollten sich in der Scheune eine Forelle, die sie gefangen hatten, braten und zündeten sich ein Feuerchen an. 1.45 Uhr stand die Scheune in Flammen, nach kaum zwei Stunden war der ganze Ort niedergebrannt. Das Feuer verbreitete sich mit unheimlicher Geschwindigkeit, getrieben vom Süd-West-Winde. Fremde, die mit Geschirr gegen 12 1/2 Uhr hier eintrafen, erzählten, daß, nachdem der Kutscher kaum zu kurzem Einstand die Lissen abgehängt, sie knapp Zeit behielten, die Wagen zu besteigen, um vor den brausenden Flammen zu flüchten. 329 Wohngebäude, 131 Scheunen, 92 Ställe, 175 Nebengebäude, Amtsgericht, Post, Apotheke, 6 Gasthöfe, Bürgermeisteramt, Oberförsterei, Pfarrgebäude und Kirche, alles ging auf in den Glutwellen. Die Kirchturmuhr schlug noch die zweite Stunde aus, dann brach der brennende Turm in sich zusammen.
Die Ruinen der Stadt
Im rechten Bildteil erkennt man die Schule, eines der wenigen Gebäude die verschont blieben. In der linken oberen Bildecke ist die Ruine der Kirche zu sehen. Foto: Privatarchiv M. Lauerwald
Gerettet wurde nur wenig; es verbrannte fast das gesamte Mobiliar und viele Wertsachen. Die Feuerwehr war vollkommen machtlos; die Hitze war so furchtbar, daß die Spritzen begannen Feuer zu fangen. So beschränkte man sich auf den Schutz der wenigen stehengebliebenen Häuser südlich des Brandherdes und auf den Berghängen, der Höh, dem Schützenhof und dem oberen Ende der Inselberger Straße. Diese Reste, z. B. die Häuser am Leghügel, können dem Fremden zeigen, wie Alt-Brotterode aussah. In vier Stunden hatte das rasende Element sein Werk vollbracht. Was nicht von Eisen und Stein, war verschwunden, selbst Eisen geschmolzen, die Erde tief hinein durchglüht, der feste Felsboden zermürbt, die weißlichen Glimmerblättchen des Granits rot gebrannt. Die Glut hinderte noch tagelang die Aufräumungsarbeiten. Der durch das Feuer verstärkte Südweststurm trieb brennende und angekohlte Papiere stundenweit weg; in der Nähe von Erfurt, in vielen Waldorten, z. B. Tambach, sind solche gefunden worden.
Die Witwe Lesser, geb. König, die Witwe Wagner, die Witwe Schmidt, und das Ehepaar Lesser fanden den Tod in den Flammen. Fast sämtliches Geflügel und 30 Stück Kleinvieh, Ziegen und Schweine, kamen um.
Von den Geflüchteten konnten die meisten nur retten, was sie auf dem Leibe trugen. Sie wandten sich in die benachbarten Orte; viele schienen sich nicht trennen zu können von dem entsetzlichen Anblick und starrten wie gebannt in die Flammen.
Die abgebrannte Kirche
Das Feuer verbreitete sich mit solch einer hohen Geschwindigkeit, das kaum etwas aus der Kirche gerettet werden konnte. Viele Dokumente wurden ein Raub der Flammen.
Bilder der Brandkatastrophe
Ein Funke schuf Leid und Hoffnung
Die Kirche vor dem Brand
In dieser unbeschreiblichen Not half christliche Nächstenliebe. Von den Nachbarorten kamen Wagen mit Lebensmitteln, mit Haushaltungsgegenständen, mit Kleidungsstücken; Kötzen voll Brot wurden ausgeteilt. Insbesondere sei hier noch dankend der großen Hilfsbereitschaft der Schmalkalder gedacht. Der damalige Gerichtsassistent bei dem Amtsgericht Schmalkalden, Hugo Werner, ein geborener Brotteroder, hatte noch in der Nacht vom 10. zum 11. Juli große Plakate drucken lassen mit der Aufschrift "Für die Abgebrannten von Brotterode". In aller Frühe des 11. Juli verschaffte er sich einen großen Kastenwagen, an dem er die Plakate befestigte.
Ein hilfsbereiter Junge nahm neben dem Kutscher Platz und lockte durch kräftiges Läuten mit einer großen Handglocke die teilweise noch schlummernden Schmalkalder an die Fenster. Die weithin leuchtenden Plakate redeten eine stumme und doch so beredte Sprache. Nun kamen aus allen Häusern die lieben Leute und füllten den Wagen mit Lebensmitteln aller Art. Kaum war die Bahnhofstraße durchfahren, da war der Wagen schon so schwer und hoch beladen, daß schleunigst ein zweiter herbeigeholt werden mußte. Ein rührender Wetteifer entwickelte sich mehr und mehr. Man brachte Säcke voll Hülsenfrüchte, Kaffee, Brötchen, Würste, Schinken, Speck, Brote in Menge, und wer hatte, gab Geld. Etwa am Neumarkt war auch der zweite Wagen hochbeladen, ein dritter wurde beschafft und auch beladen, und nun wurde die Fahrt schnell nach Brotterode angetreten, nachdem auch von dem Gelde noch 3 Waschkessel, eine Kiste Löffel und eine weitere mit Tellern beschafft waren.
Flammen seid meiner Heimat gnädig, nehmt den Menschen nicht ihr Gut,
viel Schweiß und Arbeit kostet das Leben, was jetzt vernichtet eure Glut.
Menschen bannt das Element, bevor es alles ganz vernichtet,
wer des Dorfes Not und Armut kennt, verwünscht die Tat die falsch gerichtet,
das Kind um seine Wiege weint, die Mutter um ihr trautes Heim,
dem Vater alles trostlos scheint, das Vieh wird ohne Ställe sein.
Menschen lauft und löscht das Feuer, rettet was zu retten ist,
des armen Menschen Heim ist teuer, weil jeder Stein mit Schweiß getränket ist.
Aus dem Schauspiel "Am Abend nach dem Brand"
Robert Schmalwasser
Die Szene, welche sich beim Eintreffen der 3 beladenen Wagen in Brotterode abspielte, wird denen, die sie erlebten, nicht aus dem Gedächtnis schwinden. Von allen Seiten kamen die hungrigen Einwohner herbei und umarmten immer wieder den oben genannten Ueberbringer der Schmalkalder Spende. Schon nach kurzer Zeit dampfte in einem Kessel ein kräftiger Kaffee und in den anderen Kesseln Erbsen- und Bohnensuppe und stillte vielen der Abgebrannten den Hunger und den Durst.
Der Abend nach dem Brand
Tagelang behinderte die Glut noch die Aufräumungsarbeiten
Barackensiedlung
Die Zeitungen sammelten für die Abgebrannten, und wohl kaum eine Ecke des Vaterlandes ließ es sich nehmen, ihr Scherflein zur Linderung des Elends beizutragen. Berlin bewilligte für Brotterode 10.000 Mark, Schmalkalden sammelte 5.000 Mark; im Januar 1896 waren durch die Sammlungen 310.000 Mark aufgebracht worden. Leipzig überwies 300 Matratzen.
1.500 Menschen ohne Obdach wollen verpflegt sein. Die täglich eingehenden Gaben wurden im Gesellschaftshause der "Union" auf der Höh verteilt.
Wie durch ein Wunder war die inmitten des Ortes stehende Schule von den Flammen verschont geblieben, nur leicht an der Westseite versengt; sie diente einigen Hundert Personen nun vorläufig als Unterschlupf, bis nach 14 Tagen der Schulunterricht wieder aufgenommen werden konnte.
700 Menschen fanden in den bald errichteten Baracken am Seimberge Obdach. Hier waren zwei Straßen, dem Burgberge gegenüber, entstanden; im Winter sorgten 108 Oefen für Erwärmung der Räume.
Der Gesamtschaden an Gebäuden wurde von der Hessischen Brandkasse zu Kassel mit 1.734.870,90 Mark berechnet. Der durch Mobiliarversicherung nicht gedeckte Schaden wurde auf 1,5 Millionen Mark geschätzt.
Baracken für die Obdachlosen
Um die viele Obdachlosen Einwohner von Brotterode schnellstens unterzubringen wurden am Seimberg notdürftig Baracken errichtet in denen mehr als 700 Personen Unterkunft fanden.
Der Wiederaufbau von Brotterode
Wiederaufbau von Brotterode
Brotterode wurde nach dem Brand zügig wieder aufgebaut. Anders als vorher wurden breite Straßen und ein klar strukturiertes und modernes Stadtbild geschaffen.
Die Feldbahn Wernshausen - Brotterode
Um den Wiederaufbau zu beschleunigen ordnete das preußische Kriegsministerium umgehend auf kaiserlichen Befehl die Anlegung einer Schmalspurbahn an. Diese Arbeit sollte als Felddienstübung der Eisenbahn- Abteilung gelten, der Fiskus die Kosten tragen. Im Winter mußten Offiziere des Eisenbahn-Regiments die Trace abstecken, von Wernshausen durch das Trusental wurden 14,47 Kilometer Strang gelegt, von Herges-Vogtei an mit einer durchschnittlichen Steigung von 19,5 Prozent.
In 10 Tagen waren zwei Brücken geschlagen, eine über die Werra, eine über den Mühlgraben. Am 11. Mai war die Bahn fertig, polizeilich abgenommen und dem Verkehr übergeben. Die ganze Dauer der Bauzeit belief sich auf 37 Tage, die Summe der Kosten auf 30.000 Mark. - Im Laufe des Sommers beförderte diese Bahn rund
17.000 Tonnen Fracht und 10.000 Personen nach Brotterode. Die Ersparnis an Fracht gegenüber dem Transport auf der Landstraße überstieg 50.000 Mark und kam somit den Abgebrannten zugute.
Quelle: Chronik von Brotterode, Wilhelm Bickel 1925
Die Bahn wurde eigens zum schnelleren Wiederaufbau Brotterodes angelegt.
Die Bahn hielt an folgenden Stationen: Wernshausen, Ölmühle, Wahles, Herges-Vogtei, Auwallenburg, in der Laudenbach (b. Wasserfall) und in Brotterode.
Am 15.6.1897 wurde die Feldbahn wieder abgerissen.
Fotos: Chronik von Brotterode, Wilhelm Bickel 1925; Grossbrand 1895 in Brotterode, Günter Schmidt 1995; Brotteröder Heimatbuch, Günter Schmidt 1999, Privatarchiv M. Lauerwald